Die freigehaltene Mitte
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in einem Urlaub in Italien habe ich einen wunderschönen kleinen Kreuzgang in einer Zisterzienserabtei entdeckt. Der Kreuzgang bildete ganz klassisch einen quadratischen Innenraum: den Kreuzgarten.
Ein Kreuzgarten ist ein besonderer Ort: Die alltäglichen Tätigkeiten der Klosterleute wie Arbeiten, Kochen und Waschen spielen sich in den Räumen rund um den Kreuzgang ab – doch die Mitte des Klosters bleibt frei und ist zum Himmel hin offen. Ein Brunnen in der Mitte des Gartens symbolisiert neben der Verbindung nach oben auch die Verbindung in die Tiefe.
In der Anlage eines Kreuzgartens steckt die klösterliche Weisheit, dass der Mensch immer wieder Räume braucht, die freigehalten sind von den Geschäften des Alltags. Auch die Sommerferien sind für mich wie eine freigehaltene Mitte im Jahr. Wir leben darauf zu und freuen uns auf die Zeit zum Aufatmen. Wie blicken Sie auf die nahe Urlaubszeit?
Für viele steht die Vorfreude auf das Verreisen im Mittelpunkt. Andere bleiben gern daheim und genießen die ruhige Zeit im August. Schülerinnen und Schüler freuen sich aufs Ausschlafen. Für Eltern bringen die Ferien mitunter auch die Herausforderung, die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren, wenn sie arbeiten müssen.
Ich wünsche Ihnen, dass die Sommerferien Ihnen Raum öffnen für Dinge, die Ihnen wichtig sind und im Alltag oft zu kurz kommen, für Erlebnisse und Begegnungen, die uns die eigene Mitte spüren lassen so wie der Blick auf den Kreuzgarten in der Mitte eines Klosters.
Ein weiser Mensch sagte einmal: „Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung.“ (Johann Baptist Metz). Sind also auch Ferien eine Form von Religion?
Jedenfalls gehören sie nicht nur zum bayrischen Biorhythmus, sondern sind bereits eine Erfindung der Bibel. In der Schöpfungsgeschichte hatte Gott die geniale Idee, den siebten Teil der Zeit von Arbeit freizuhalten.
Eine Unterbrechung öffnet Raum, auch die religiöse Dimension unseres Menschseins nicht zu vergessen. Die freigehaltene Mitte des Jahres schenke Ihnen Momente, in denen unsere Verbindung zum Himmel und unsere Quellen in der Tiefe spürbar werden – vielleicht sogar in der Ruhe eines Kreuzgartens, den es auch an der Kirche St. Johannes in Rebdorf, am Eichstätter Dom oder im Kloster St. Walburg zu entdecken gibt.
Pfarrerin Christiane Rabus-Schuler