Bar jeden Mitgefühls

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
am zweiten bzw. dritten Sonntag nach Ostern feiern wir in der evangelischen und katholischen Kirche den Sonntag Misericordias Domini: die Barmherzigkeit Gottes. Der Blick in die Natur an diesem Maiwochenende, an dem alles grünt und blüht, lädt geradezu ein, in das Loblied dieses Sonntags einzustimmen: „Die Erde ist voll der Güte des Herrn.“ (Psalm 33).
Doch der Blick in die Welt und unsere Gesellschaft wirft Fragen auf. Welche Rolle spielt Barmherzigkeit, vielleicht würde man heute eher sagen Mitgefühl, noch in unserem Zusammenleben?
„Bar jeden Mitgefühls“ steht auf dem Schild einer mobilen Fahrradbar, die auf einem belebten Platz in München aufgebaut wurde. In dem doppeldeutigen Namen „Bar jeden Mitgefühls“ steckt die Beobachtung, dass Mitgefühl in unserer Gesellschaft im Schwinden ist. Ein kleines Theater will mit dieser „Bar jeden Mitgefühls“ auf ihr gleichnamiges Theaterstück aufmerksam machen und gleichzeitig die Menschen mitten in der Stadt miteinander ins Gespräch bringen: Was geschieht, wenn Mitgefühl aus unserer Gesellschaft verschwindet?
In den USA stößt es auf einen breiten Konsens, rücksichtslos die eigenen politischen und wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen. Aber auch bei uns ist eine Tendenz, sich selbst zu optimieren, um immer besser, gesünder und beliebter zu werden, in allen Altersstufen zu finden.
Die „Bar jeden Mitgefühls“ will nicht verurteilen, aber auf die Leerstelle aufmerksam machen, die diese Entwicklung hinterlässt: ein schwer zu beschreibendes Gefühl, dass etwas fehlt.
Natürlich kann der Ruf nach Mitgefühl auch überfordern. Dann hilft es, zwischen Empathie und Mitgefühl zu unterscheiden. Wer Empathie empfindet, fühlt sich in den anderen Menschen ein und übernimmt dessen Gefühle. D.h. wenn wir für einen traurigen Menschen Empathie empfinden, fühlen wir uns selbst traurig. Durch die Motivation, etwas für den anderen tun zu wollen, wird aus Empathie Mitgefühl. Diese Haltung, dem anderen Besserung zu wünschen, hilft, nicht an dessen Leid zu zerbrechen.
Von Jesus wird in der Bibel immer wieder erzählt: es erbarmte ihn, wörtlich: es drehte ihm Herz und Lunge um. Jesus hat sich radikal an die Seite der Menschen gestellt. Auch in der Kirche können wir von seiner Haltung nur lernen.
Dazu helfe uns der Blick dieses Sonntags auf einen mitfühlenden Gott.
Pfarrerin Christiane Rabus-Schuler