Zum Inhalt springen

Impuls 2025-02-08

Halt in rutschigen Zeiten

Nicht nur auf winterlichen Straßen, auch im gesellschaftlichen Diskurs besteht derzeit große Rutschgefahr: Hier wie dort droht man sich erhebliche Blessuren einzufangen oder in den Graben zu rutschen! Besonders drastisch passiert das im aktuellen Wahlkampf. Die Formen des Miteinanders verrutschen, unsachliche Hetze und Pauschalierung, Radikalforderungen und kompromisslose Härte werden wie kaltes Wasser auf tiefgefrorene Wege ausgeschüttet. Leider auch von Parteien der Mitte! Nur zu schnell lässt man sich von unberechenbaren Emotionen wie Empörung und Wut mitreißen, aufs Glatteis führen, drängen und verführen – teils aus Faszination für klare Worte, teils aus Angst, die Deutungshoheit zu verlieren.

Wie auf winterlichen Straßen gibt es aber auch im gesellschaftlichen und politischen Diskurs Gegenmaßnahmen, damit wir nicht in den Graben fahren. Die erste wäre, das eigene Tempo zu überdenken. Mehr Nüchternheit und Mäßigung täten gut! Zum anderen kann man an den Rahmenbedingungen arbeiten, d.h. auf den verbindenden Wegen (wieder) für Tauwetter sorgen und (wieder) Leitplanken bauen.

Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland und des christlich-jüdisch-humanistisch geprägten Europas haben wir solche Auftau-Mittel und Leitplanken für das Miteinander eigentlich schon: Die Bibel und das Grundgesetz! Dass ich ein Fan der Bibel bin, ist bekannt. Zurecht werden wir dort aufgefordert: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat!“ (Römer 15,7) Zugleich bin ich ein absoluter Fan des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ (Art. 1 GG). Es ist eine großartige Errungenschaft nach der Katastrophe des menschenverachtenden Nationalsozialismus, dass uns solche Leitplanken gegeben sind, um Hass und Hetze gegen Minderheiten zu begrenzen. Man darf und muss in einer freiheitlichen Demokratie hart in der Sache diskutieren, auch über „Immigration“ – aber mit Respekt, Anstand und Menschlichkeit!

Wir sollten stolz sein auf unser Grundgesetz, sollten „Verfassungspatrioten“ (Jürgen Habermas) werden und die Menschenwürde als „Zivilreligion“ (Robert N. Bellah) für heilig halten. Gerade dort, wo christliche Werte nicht mehr das gemeinsame Fundament sind, kann das Grundgesetz sicheren Halt in Glatteis-Zeiten geben. Aber nur, wenn wir uns alle daran festhalten!

Pfarrer Martin Schuler