Du bist ein Gott der mich sieht
Kennen Sie das Motiv auf dem Foto? Es ist in der Taufkapelle der Erlöserkirche auf einem der drei bunten Glasfenster zu finden. Ein leuchtend gelber Strahlenkranz umgibt ein gleichseitiges Dreieck. Daraus schaut ein Auge hervor und blickt mich an. Im Gegensatz zu der geometrisch-ornamentalen Gestaltung des Fensters wirkt das Auge überraschend natürlich – ein menschliches Auge scheint durch die Öffnung des Dreiecks hindurchzuschauen. Mich erinnert dieses Fensterbild an die Jahreslosung für 2023: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13)
Oft wird das „Auge Gottes“ mit der Vorstellung eines allwissenden, alles genau beobachtenden Gottes verbunden. Doch wie menschlich der Blick Gottes ist, davon erzählt nicht nur die Darstellung auf dem Kirchenfenster, sondern vor allem auch die Geschichte aus dem Alten Testament, der dieser Bibelvers entnommen ist. Die schwangere Hagar ist auf der Flucht. Sie ist die ägyptische Magd von Sara und wurde in eine Art Leihmutterschaft hineingedrängt, um Abraham zu Nachkommen zu verhelfen. Doch die beiden Frauen geraten in Streit. Hagar flüchtet sich in die Wüste. Allein, schutzlos und ohne Ziel scheint die schwangere Frau ihrem Schicksal ausgeliefert zu sein. Da findet sie ein Engel Gottes. Er stärkt sie und spricht ihr Hoffnung und Mut für ihre Zukunft und die ihres Sohnes zu. Hagar erkennt, wer durch den Engel mit ihr gesprochen hat: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ So benennt sie ihr Gegenüber. Gott selbst sieht ihre Not und gibt ihr, der unfreien Magd, neues An-Sehen. Hagar und ihr späterer Sohn Ismael werden in die Geschichte Gottes mit den Menschen eingehen. Ismael gilt als Stammvater der Araber und Prophet des Islam. Und Hagar ist die erste Frau in der Bibel, die Gott einen Namen gibt. Mit diesem Namen können wir Gott auch heute ansprechen. Er nimmt Anteil am Leben und Ergehen jedes Menschen, insbesondere der Schwachen und Schutzbedürftigen. Unsere Sorgen und Ängste sind ihm nicht gleichgültig. Er sieht mich und er lässt mich – manchmal auch durch seine Boten – einen Weg aus der Wüste zum Leben sehen. Dass Gott sich uns mit einem aufmerksamen Blick zuwendet, daran erinnert übrigens auch ein besonderes Phänomen am Sternenhimmel. Der Helixnebel wird auch als „Auge Gottes“ bezeichnet, das trotz 700 Lichtjahren Entfernung wach auf die Erde schaut. So wünsche ich Ihnen, dass Sie sich in diesem Jahr freundlich von Gott gesehen wissen und seine menschliche Zuwendung erfahren.
Pfarrerin Christiane Rabus-Schuler