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Impuls 2022-10-23

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Sag mir, wo die Blumen sind…

Goldener Oktober? Klingt für mich an manchen Tagen arg nach Schönfärberei, gerade im Jahr 2022: Krieg, Inflation, Energiekrise, Klimakrise… Blühendes Leben, das von einem Tag auf den anderen zerschossen wird, nicht zuletzt auf den Schlachtfeldern in der Ukraine.

„Sag mir, wo die Blumen sind – wo sind sie geblieben?“ Dieser Anti-Kriegssong erscheint mir aktueller denn je: Gegen die Leichtfertigkeit, mit der Menschen in den Krieg ziehen oder in den Krieg gezogen werden. Man kann nur erschrecken, wie weitreichend die Folgen eines Krieges sind, wie sinnlos das Leid. Eigentlich sollte man es heutzutage besser wissen.

Erschreckend ist für mich auch, wie schnell die idealistische Sonnenblume einer Partei dahinwelkt, die aus der Umwelt- und Friedensbewegung hervorgegangen ist. Auf einmal fordert man Waffen und den Weiterbetrieb von Atomkraft- und Kohlekraftwerken. Flower-Power am Ende? Mag sein, dass manches „Krötenschlucken“ in diesen schwierigen Zeiten nötig und staatstragend ist – und dennoch muss die Überzeugung wachgehalten werden, dass Krieg und Umweltzerstörung falsch sind. Wir dürfen uns ja nicht daran gewöhnen, sondern müssen auch weiterhin die Visionen von Frieden, Fairness und Gerechtigkeit dagegenhalten. Unsere Welt braucht „Blütenträume“.

Hoffnung macht mir, dass es nach wie vor Menschen gibt, die sich für Umwelt und Klima engagieren, auch wenn sicherlich manche „Stilblüte“ darunter ist. Hoffnung macht mir, dass es nach wie vor Menschen gibt, die auf Friedensgebete und Friedensdemos gehen. Hoffnung macht mir, dass selbst in diesen ungemütlichen Herbsttagen junge Paare heiraten und ein unübersehbares Hoffnungszeichen in die Welt aussenden: Wir glauben an die Liebe. Hoffnung gibt mir auch der steinerne Schöpfungszyklus auf der Eichstätter Seminarwiese: Über Monate hinweg war hier schlammiges Brachland, nun ist eine wunderbare Blühwiese zu bestaunen. Sonnenblumen mitten im Oktober.

All das ist für mich ein Fingerzeig Gottes, dass Krieg und Zerstörung endlich sind. ­Die Hoffnung aber ist unzerstörbar, ist ein immer neues Aufblühen des Lebens. „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.“ So sprach Gott durch den Propheten Jesaja (Kap. 43,19) bereits in der dunkelsten Stunde des Gottesvolkes. Und das gilt bis heute. Auf jeden Herbst folgt ein Frühling, ein Wiederaufblühen, weil Gott es will. Das ist und bleibt der tiefste Grund unserer Hoffnung.

Pfarrer Martin Schuler